Meine ersten Erfahrungen mit Wein

Wein war immer ein Thema bei uns zuhause und wurde mit besonderem Respekt behandelt.

Dekantieren

Ich kann mich gut an die Momente des Dekantierens erinnern. Es war, als stünde die Zeit still. Wie sorgfältig mein Vater die Karaffe vorbereitete. Dann das langsame Umgiessen des Weines aus der dunklen in die helle Flasche. Und am Schluss das Zurücklassen des Depots, welches meine Mutter fürs Kochen sorgsam aufbewahrte.

Gerne hätte ich jeweils mitgeholfen. Mich faszinierte jene rote Flüssigkeit, welche über der Kerzenflamme eine wunderbar leuchtende Farbe annahm. Ich versuchte, sie festzuhalten, indem ich mit Wein malte. Doch ich wurde bitter enttäuscht. Auf dem Blatt hatte seine Farbe nichts Leuchtendes mehr, sie war wässrig und wurde beim Trocknen auch noch braun.

Traubensaft

An den Wochenenden gab es für mich Traubensaft zum Güggeli. Ich hätte zwar lieber Coca Cola getrunken. Mein Drängen nach „synthetischen Getränken“ wurde von meinem Vater jeweils damit abgetan, dass
Traubensaft ein Naturprodukt sei und die Trauben etwas Wunderbares und Vielfältiges. Das verstand ich, doch auch mit Traubensaft, so stellte ich bald fest, konnte man nicht gut malen.

Das Selbstverständliche

In der Jugend, als der noch verbotene Alkohol auf viele eine Faszination ausübte, merkte ich, welch entspannte Haltung ich zu ihm hatte. Meine Eltern boten mir ab dem entsprechenden Alter an, einen Schluck zu probieren. Doch lange stand mir nicht der Sinn danach. Ich roch gern am Wein, nahm seine unterschiedlichen Duftnoten wahr und staunte. Doch stand mir damals der Sinn mehr nach süssen Getränken – wie Traubensaft eben.

Guter Wein war bei uns stets selbstverständlich und ebenso selbstverständlich ist, dass ich seinen Wert verkannte. So merkte ich erst in der Studentenzeit, als ich mit Freunden „auswärts“ Wein kaufte, dass es auch Gewächse gibt, die Kopfweh verursachen oder die mir einfach nicht schmecken. Diese Erfahrung hat mich dahin zurückgeführt, wo ich herkomme, nämlich zu gutem Wein und damit „back to the roots“.

Über Nadine Reichmuth